ET 422 ab sofort nur noch mit 100 km/h wegen Softwareproblemen in der PZB – das war die überraschende Nachricht am 8. April. Was genau passiert ist, darüber dringen nur bruchstückhafte Informationen aus dem Verkehrsbetrieb S-Bahn Rhein-Ruhr. Die Sache war auch ein Lehrstück dafür, dass dem Buschfunk manchmal nicht zu trauen ist.

Es geht um die Software der PZB-Anlage EBI Cab 500 PZB von Bombardier, mit der alle Triebwagen der Baureihe 422 ausgerüstet sind. Die ersten Wortmeldungen aus der Gerüchteküche deuteten noch darauf hin, dass es die EBICab mit der Wegmessung nicht so genau nehmen würde, was zu Zwangsbremsungen an Stellen führen würde, an denen man sie nach der Richtlinie 483 nicht zu erwarten hatte. Damit hätte die Anlage zwar gewissermaßen zur berühmten sicheren Seite hin agiert, aber wohl die Spezifikation der PZB 90 verletzt. Naja – besser zu viele als zu wenig Zwangsbremsungen, könnte man sagen. Diese Gerüchte wiesen letztlich aber in die falsche Richtung. Der Problemgegenstand lag woanders:

Am 18. April war dann aus dem Munde eines Betriebskontrolleurs der Bahn in der Zeitung zu lesen, dass der tatsächliche Grund für die Geschwindigkeitsbeschränkung zwei Signalüberfahrungen sein sollten, bei denen sowohl die Beeinflussungen als auch die fälligen Zwangsbremsungen ausgeblieben waren. Eurailpress weiß zu berichten, dass die EBI Cab ein ungeplantes Feature hat: Sie kann während der Fahrt unbemerkt ausfallen. Damit hat die auf den Fahrzeugen vorhandene Ebicab-Software ihre Zulassung verloren. Das ist ein ziemlich ernstes Problem, und die Bahn hat bei Bombardier eine dringliche Lösung angefordert. Dass es gerade Bombardier trifft, ist insoweit nicht verwunderlich, als die betroffene EBI Cab 500 eine verhältnismäßig junge Entwicklung ist. Da die Zeiten vorbei sind, in denen man bei Zugbeeinflussungsanlagen maximal die Wahl zwischen Siemens und Standardelektrik Lorenz hatte, könnten uns ähnliche Softwarefehler angesichts einer Flut von Neuanlagen insbesondere im ETCS-Bereich eventuell künftig häufiger beschäftigen.

Was hat DB Regio also jetzt an Maßnahmen ergriffen? Soweit es möglich ist, fahren derzeit 143er mit x-Wagen, soweit sie gefristet und noch nicht verschrottet sind. Für den Teil der ET 422-Flotte, der mangels Ersatzfahrzeugen trotzdem auf die Strecke muss, wurde die Höchstgeschwindigkeit  auf 100 km/h begrenzt. Zwei weitere Maßnahmen dienen dazu, dem EBA zu zeigen, dass man wirklich alles menschenmögliche tut, um die Sicherheit des Eisenbahnbetriebs zu gewährleisten. Der PZB-Störschalter wird wie man hört nicht eingelegt, so dass die EBI Cab weiter wirken kann wie sie soll. Um die Zeit eines unbemerkten Ausfalls kurz zu halten wurde vorgesehen, die Anlage alle 30 Minuten zu resetten. Per Weisung wurden die Bahnhöfe bekanntgegeben, in denen dies getan werden muss. Zweitens ist ein Beimann an Bord. Dabei handelt es sich um einen Triebfahrzeugbegleiter mit besonderer Ausbildung nach 408.0301 Abschnitt 2 Abs. 2. Er muss also nicht nur den Zug anhalten und Hilfe anfordern können, sondern auch Signale beherrschen. Wie Heizer und Tf auf der Dampflok haben sich die beiden die erkannten Signale gegenseitig zuzurufen. Die noch eingesetzten ET 422 mit doppeltem Personalansatz fahren zu lassen ist natürlich für die Disponenten keine leichte Aufgabe. Unternehmensbereichsübergreifend werden daher Tfz-Begleiter zur S-Bahn Ruhr abgeordnet. Teilweise finden „Schnellbesohlungen“ von Regio-Zugbegleitern und Schenker-Rangierpersonalen statt.

Update 6.5.2011

DB Regio NRW und Bombardier melden inzwischen, dass das Problem eingekreist wurde und an der Lösung gearbeitet wird. Unerfreulicherweise fand man kein reines Software-Problem, sondern auch die Hardware der EBI Cab spielt mit hinein und muss angepasst werden. Die Ursache klingt unglaublich: Durch Erschütterungen im Fahrbetrieb konnte der PZB-Rechner abstürzen, ohne dass dies eine Störmeldung auslöste. Die Anlage ist buchstäblich nicht „bahnfest“. Alles das soll nun geändert werden. Um eine zeitaufwändige EBA-Zulassung kommt man aber wohl nicht herum. Die PZB-Anlagen in der Baureihe 442 („Talent 2“), ein anderer Pannenzug aus dem Hause Bombardier, der eigentlich schon lange Zeit in Süddeutschland verkehren sollte, kann Bombardier gleich mit austauschen, denn sie sind baugleich zu denen in der BR 422.

Update 20.6.2011
Am Ende ging es schneller, als gedacht. Die neue Anlagensoftware wurde ausgerollt, gut 14 Tage im Betrieb getestet, und seit 18.6.11 dürfen die damit ausgerüsteten 422er wieder ohne Beimann fahren.

Update 8.7.2011
Im Nachgang zur S-Bahn-Krise bohren die Medien jetzt an einigen Stellen nach, und leider kommt müffelnder Klärschlamm hoch. So stellt sich nach einem Bericht der Rheinischen Post die Frage nach der Tauglichkeit einiger der eingesetzten Triebfahrzeugbegleiter. In Einzelfällen sollen u.a. pensionierte Mitarbeiter und „Familienangehörige mit Vorkenntnissen“ eingesetzt worden sein. Das klingt schon recht bedenklich. Ich will mich hier gar nicht so sehr auf die unsachlichen und vo wenig Fachkenntnis getrübten Kommentare unserer glorreichen NRW-Landespolitiker kaprizieren. Mein Liebling ist ja Verkehrsstaatssekretär Horst Becker, der sich mit den Worten „Bei einem Lkw würde man auch nicht jemanden, der lediglich einen Mofa-Führerschein besitzt, ans Steuer lassen, wenn der Fahrer seine Lenkzeit überschritten hat“ zitieren ließ und damit durchblicken ließ, dass er von den Tätigkeiten eines Tfz-Begleiters keinen blassen Schimmer hat.

Einen eintägigen Crashkurs für die zukünftigen Signalbeobachter halte ich persönlich für durchaus ausreichend. Die Zeit sollte wirklich dafür reichen, den Leuten die für sie wichtigen Signale zu zeigen und ihnen auch beizubiegen, wann man das für den Zug gültige Signal rechts und wann links findet. Eine Betriebsdienstklausur würden die Leute nach einem Tag natürlich nicht bestehen, aber das müssen sie ja auch nicht. Wir reden hier von Tfz-Begleitern, die in der gegebenen Konstellation nur das dritte Sicherheitsnetz bildeten: Die erste Ebene war wie immer der Lokführer selber, bei dem man davon ausgehen kann, dass er die weitaus allermeisten Signale im wachen Geisteszustand wahrnimmt. Zweite Sicherungsebene blieb die Ebicab PZB, die sich zwar ab und an verabschieden konnte, aber die meiste Zeit über funktionsfähig gewesen sein dürfte. Erst wenn diese beiden Stricke gleichzeitig gerissen wären, hätte die große Stunde des Tfz-Begleiters geschlagen. Dazu wäre es unnötig, ihn in alle Feinheiten des Signalbuchs einzuweihen. Ob er im Dunkeln korrekt ein Lf 1 von einem Vr 0 unterscheiden kann – das ist doch Kür in so einer Situation. Selbst wenn er nur in der Lage wäre zu sagen „da vorne kommt ein Signal“ wäre das wohl schon ausreichend, um zu verhindern, dass der Tf versehentlich etwas übersieht. Deshalb halte ich die Signalbeobachtung auch mit nur eintägiger Schnellbesohlung für eine machbare Aufgabe.

Als problematischer sehe ich allerdings eine andere „kleine Formalität“ an: Auch wenn sie nur im Führerstand rumsitzen und ab und an mal ein Signal ansagen, sind Triebfahrzeugbegleiter Mitarbeiter, die Tätigkeiten im Bahnbetrieb ausüben. Damit unterliegen sie bahnärztlichen Tauglichkeitsanforderungen nach VDV Schrift 714 bzw. im Fall der Deutschen Bahn der Richtlinie 107. Diese Anforderungen sind jetzt nicht ganz  so hoch wie beim Eisenbahnfahrzeugführer selbst (u.a. können Tb’s quasi halb blind und taub sein – Visus 0,5 und 5 Meter Hörvermögen reichen laut VDV 714 aus), aber die Untersuchung muss halt gemacht worden sein, bevor der Tfz-Begleiter den Führerstand besteigt. Auch eine UVV-Belehrung zum Thema „Verhalten im Gleisbereich“ halte ich für zentral, denn man kann wohl nicht davon ausgehen, dass die Dienstschichten der Tfz-Begleiter immer an einem Bahnsteig endeten und begannen. Ob DB Regio diese Kriterien bei allen ominösen Pensionären, Schreibtischtätern und Familienangehörigen eingehalten hat, beantwortet der Zeitungsbericht leider nicht.