In Modul 408.0311 regelt die Heilige Schrift, wie auf dem DB-Netz eine Wagenliste zu führen ist. Spalte 10 dieser Liste hat die Überschrift „Bemerkungen“ und ist für allerlei Hinweise zu Besonderheiten des Wagenzuges gedacht. Diese sind meist technischer Art, oder es geht um besondere Gefährdungen. Unter Buchstabe „n“ findet sich die Anweisung, bei Sonderplanwagen „Spl“ in Spalte 10 einzutragen. Okay, jetzt gibt es nur noch ein Problem… Als Jungeisenbahner, der in der heutigen Zeit und nicht mehr bei der Bundesbahn ausgebildet wird, darf man berechtigt fragen: Was zur Hölle ist ein Sonderplanwagen?

Die Nennung des Sonderplanwagens in der Fahrdienstvorschrift ist aus heutiger Sicht eigentlich ein Relikt aus besseren Zeiten. Da sind wir tief im Thema Stückgutverkehr – ein Geschäftsfeld, das die Bahn Mitte der 90er Jahre langsam beerdigt hat, weil es hohe Verluste brachte. Was heute in meiner jüngeren Generation kaum noch bekannt ist – ein großer Teil des Kleinkrams, der heute mit Paketdiensten und LKW-Speditionen durchs Land verschickt wird, wurde früher mit der Eisenbahn befördert. Zu meinen Kindheitserinnerungen gehört noch, dass wir Mitte der 90er Jahre Pakete zur Güterabfertigung im Bahnhof Bestwig oder Meschede brachten. Das haben wir noch einige Jahre gemacht, dann hat auch unsere Firma auf reinen Postversand umgestellt. Das war billiger, schneller und weniger Papierkrieg.

In den Güterbahnhöfen im ganzen Land wurden also täglich Güterwagen mit allerlei Krimskrams vollgeladen. Der übliche Weg war dann, die Wagen zu einem Knotenpunktbahnhof zu fahren, wo der Inhalt umgeladen und sortiert wurde. Die Ware wurde dann zum nächsten Knoten gefahren, wieder sortiert und umgeladen, und landete dann irgendwann am Empfangsbahnhof. Dort konnte sie der Empfänger abholen oder von der Bundesbahn bei sich zuhause zustellen lassen. Problem dieses Systems war, dass zu häufig umgeladen werden musste, und durch Rangieren allerorten viel Zeit verloren ging.

Wenn sie wollte, konnte die Bundesbahn allerdings auch etwas schneller. Hier kommt jetzt der Sonderplanwagen ins Spiel. Er hieß übrigens so, weil sich bei der Bahndirektion jemand einen besonderen Plan für den Wagen ausgedacht hatte. Wenn auf einem Abgangsbahnhof genügend Stückgut für einen einzigen Empfangsbahnhof zusammenkam, dass man einen ganzen Wagen vollkriegte, dann wurde gerne ein Sonderplanwagen angesetzt. So sparte man sich schonmal die Umladerei im Knotenbahnhof. Für den Sonderplanwagen wurde im voraus festgelegt, welchen Zügen man ihn mitgab, damit er möglichst schnell am Ziel ankam. Außerdem wurde er in den Rangierbahnhöfen bevorzugt behandelt. Wenn Sonderplanwagen im Zug waren, wartete man nach Ankunft im Rbf oft nicht erst auf die Rangierlok, sondern rangierte die Wagen direkt mit der Zuglok zur Weiterbeförderung. So erklärt sich auch der Eintrag in der Wagenliste. Zugführer und sonstige Leute die es anging, konnten somit sehen, dass ein very important Güterwagen im Zug war, der möglicherweise besonderen Aufwand erforderte und den Dienstschluss verzögerte.

Da die bahnamtliche Stückgutbeförderung längst Vergangenheit ist, dürfte auch die letzte Fahrt eines Sonderplanwagens schon lange her sein. Nur in der Fahrdienstvorschrift existiert er fort – wer wusste schon, ob man’s nochmal irgendwann brauchen kann? Man könnte theoretisch noch Azubis damit foppen – Aufgabe „Erstellen Sie mal die Wagenliste“, und dann ein Fahrzeug als Sonderplanwagen bezetteln.

Einiges deutet darauf hin, dass der Sonderplanwagen noch viele Jahre durch EVU-Regelwerke geistern könnte. DB Netz steht auf dem Standpunkt „Wagenlisten sind ein EVU-interner Prozess. Warum sollen wir da Vorschriften zu machen?“, und die TSI „Verkehrsbetrieb und Verkehrssteuerung“ gibt ihnen da Recht. Ab Dezember 2011 kann und muss jede Firma ihre Wagenlisten nach eigenen Regeln machen (Bremszettel übrigens auch). 408.0311 wird aus der FV gestrichen. Allerdings soll das Modul auf seinem jetzigen Stand als 408.8311 eingefroren werden, und kann von Dritt-EVU für anwendbar erklärt werden. Damit ist die weitere Existenz des Sonderplanwagen-Zombies wohl gesichert. Noch in 100 Jahren werden sich vielleicht Leute auf 408.8311 berufen. Die letzte Rache der Bundesbahn sozusagen.