Die ab Fahrplanwechsel im Dezember 2011 gültigen Fahrdienstvorschriften liegen vor. Dies sind die Ril 408 Bekanntgabe 9 und die FV-NE Bekanntgabe 16.

Schwerpunkt sind diesmal die Verschiebung der Vorschriften zu Bremse, Wagenliste und Bremszettel aus den Fahrdienstvorschriften in nicht netzzugangsrelevante Regelwerke, denn die EU-Vorschrift „TSI Betrieb“ ordnet alle diese Themenkreise dem Einflussbereich der EVU zu. Diese dürfen sich zukünftig dort eigene Regeln geben. Der letzte Stand der betroffenen Vorschriften bleibt allerdings anerkannte Regel der Technik, an der sich gewillkürte Regeln messen lassen müssen – Stichwort „Nachweis gleicher Sicherheit“. Alles zum Thema Bremse wurde in die VDV-Schrift 757 (= Ril 915 der DB) verschoben, die Module zu Wagenliste und Bremszettel sind auf altem Stand eingefroren und umgenummert worden. Die Eisenbahnbetriebsleiter müssen entscheiden, ob sie die bisherigen Regeln (vom Logistikcenter der DB als Druckstück 408.81 beziehbar) für anwendbar erklären oder das Rad tatsächlich neu erfinden möchten. Die FV-NE kannte zwar die Wagenliste, und die Regeln dazu waren mit der DB vereinheitlicht, aber der Bremszettel als formalisiertes Dokument war der FV-NE bis zuletzt fremd. Gefordert war in § 42 (3) alte Fassung nur eine Unterrichtung des Tf über die Bremsverhältnisse. Das konnte im Extremfall rein mündlich passieren, aber natürlich gab es auch Eisenbahnen, die einfach trotzdem das DB-Muster des Bremszettels verwendeten.
Die Verschiebung der bremsbetrieblichen Regeln ist sehr vollständig vorgenommen worden und umfasst sogar die bisherigen Regeln zum Festlegen von Fahrzeugen, also pro wieviel Achsen oder Tonnen eine Handbremse festzudrehen ist. Damit dürfte endgültig ein Punkt erreicht sein, an dem es sinnvoll ist, selbst Rangierern ohne Bremsprobeberechtigung eine teure Druckausgabe der Bremsvorschrift persönlich zuzuteilen.

Weitere Änderungen an der Ril 408 betreffen diesmal das Themenfeld Nebenfahrzeuge. Die Autoren der FV-NE konnten sich an dieser Stelle entspannt zurücklehnen, denn sie hatten schon alles richtig gemacht. Insbesondere war die FV-NE EBO-konform. Bei der FV-DB pochte jetzt aber das Eisenbahnbundesamt darauf, sich doch mal bitte an den Wortlaut der EBO zu halten. Deshalb musste man u.a. an die Begriffsdefinition der Sperrfahrt ran, um folgendes Problem zu beseitigen: Wie allgemein bekannt ist, sind Sperrfahrten eine spezielle Form von Zugfahrten. Wie Züge dürfen Nebenfahrzeuge allerdings nur behandelt werden, wenn sie dafür geeignet sind. Bei Zweiwegebaggern und anderem Gerät ist das im Allgemeinen nicht der Fall. Insbesondere ist heute PZB notwendig, wenn sie führendes Fahrzeug sind. Offensichtlich hat es erst jetzt mal jemanden gejuckt, dass das Regelwerk in seiner alten Fassung es eigentlich nicht zuließ, mal eben einen Bagger auf freier Strecke einzugleisen und als Sperrfahrt zum Grünschnitt zu verwenden. Genauso wurde es bestimmt hundertfach gemacht, und alle Praktiker hatten keine prinzipiellen Probleme damit, weil der Hinderungsgrund (Sperrfahrt nicht möglich, da Fahrzeug die Bedingungen für Zugfahrt nicht erfüllt) schon recht subtil ist. Jetzt haben wir eine doofe Situation. Was kann man da machen? Man könnte die betroffenen Gleise zum Baugleis erklären, damit der Bagger nicht als Zugfahrt verkehrt. Der Nachteil daran ist ein brutaler Bürokratieaufwand. Man braucht dazu eine Betra, einen Betra-Ersteller, einen „4.2er“ (Technisch Berechtigter) der für das Baugleis den Hut auf hat, man muss Sh-2-Tafeln an- und abschrauben… Das Charmante an einer Sperrfahrt ist dagegen, dass sie konkurrenzlos einfach einzulegen ist. Eine Gleissperrung kann der Fahrdienst schnell mal im Alleingang einführen, ohne die Büroetage nervös machen zu müssen. Alternativ zum Baugleis könnten die Fachautoren sich ein neues Betriebsverfahren ausdenken, mit dem unser Bagger auf die Strecke kann, ohne zur Zugfahrt zu werden und ohne dabei Baugleis-Bürokratie zu erzeugen. Noch in 100 Jahren würden Betriebseisenbahner den Tag verfluchen, an dem das neue Verfahren in Kraft trat und die Fahrdienstvorschrift noch dicker machte…
Stattdessen hat man sich für die schnelle und schmutzige Lösung entschieden (eine gute Wahl), und einfach an der Definition von Sperrfahrten gedreht:

FV-DB alt in Modul 0201 war:

Sperrfahrten sind Züge, die in ein Gleis der freien Strecke eingelassen werden, das gesperrt ist.

FV-NE war und kann so bleiben:

Züge und Nebenfahrzeuge, die in ein gesperrtes Streckengleis eingelassen werden, sind Sperrfahrten.

FV-DB ab Dezember 2011 ist jetzt an neuer Stelle in Modul 0122:

Sperrfahrten sind Züge oder Fahrten, die aus Kleinwagen gebildet sind oder in die Kleinwagen eingestellt sind (Kleinwagenfahrten), die in ein Gleis der freien Strecke eingelassen werden, das gesperrt ist.

Wie man sieht, ist man beim VDV-Ausschuss für Eisenbahnbetrieb besser darin, den Sachverhalt in wenige Worte zu fassen, indem man sich nicht weiter darum schert, ob das Nebenfahrzeug vielleicht doch als Zug laufen kann oder nicht.

Das andere entdeckte Problem in der Ril 408 betraf die Geschwindigkeit von aus bauartgleichen Nebenfahrzeugen gebildeten geschobenen Zügen.  Während normale Züge maximal 30 km/h fahren durften, war den bauartgleichen Nebenfahrzeugen eine Geschwindigkeit laut Anschriftentafel erlaubt. Das konnte im Einzelfall eine sehr hohe Geschwindigkeit sein, was nicht unbedingt im Sinne des Erfinders war. Auch dies wurde vom EBA bemängelt. Die tatsächliche Absicht hinter der alten Regelung wird klar, wenn man sich die Neufassung genauer ansieht. Es wird nicht mehr von bauartgleichen, sondern bauartkompatiblen Nebenfahrzeugen gesprochen. Was ein bauartkompatibles Nebenfahrzeug ist, steht in den technischen Netzzugangsbedingungen, 931.0201. Das Beispiel schlechthin für ein bauartkompatibles Nebenfahrzeug ist ein Skl 53 oder GAF 100 mit seinem Anhänger. Man würde gerne vermeiden, dass ein solches Gespann nur mit 30 km/h bewegt werden kann, bloß weil der Anhänger in einer Richtung an der Spitze läuft. Indem man festlegt, dass die Kombination aus Anhänger und Skl kein geschobener Zug ist, wird dieses Problem auch weiterhin umschifft. Selbst mit führendem Anhänger dürfte die Streckensicht aus dem Schwerkleinwagen ja auch besser sein als aus manch einer Großdiesellok mit langem Vorbau.